Was verbirgt sich hinter dem Label Coaching?
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1 Einleitung
„Coaching“ als Beratungsmethode und auch als Begriff ist heute
aus dem Weiterbildungssektor nicht mehr wegzudenken. Es
gehört zu den Top-Themen in diesem Bereich, wie die Trendanalyse1
des Fachmagazins „managerSeminare“ aus dem Jahr
2003 ergibt (managerSeminare 2004, S. 3). Mehr noch: Es besteht
bei Anbietern und Nachfragern Konsens, dass Coaching
in Zukunft in seiner Bedeutung wachsen wird (ebd., S. 3). Wenn
der Blick sich auf die intensive Vermarktung und das Boomen
des Begriffs „Coaching“ richtet, so taucht in dem kritischen
Denker die Frage auf, ob die Beratungs- und Weiterbildungsbranche
dabei ist, den Gegenstand Coaching selbst zu erschaffen?
Um eine mögliche Position vorwegzunehmen: Ja
und nein. Im Kapitel 2.4 „Supervision, die eineiige Zwillingsschwester
von Coaching“ werden die Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zwischen Coaching und Supervision und die starke
Übereinstimmung beider Konzepte herausgearbeitet. Die
theoretischen und konzeptionellen Grundlagen im Coaching
sind in vielen Bereichen der Supervision entliehen und bestimmen
beträchtlich und essentiell das Beratungsmodell Coaching.
Die große Zahl von Veröffentlichungen zum Thema Coaching
erscheint in Anbetracht des noch relativ jungen Beratungsinstruments
gerechtfertigt, da neue Modelle dazu einladen sich
mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen und sie von anderen
Modellen auszugrenzen, sie weiter zu differenzieren und sie
auch betont zuzuspitzen. Der Gipfelpunkt für Veröffentlichungen, die das eigene Coaching-Konzept begrifflich und theoretisch
unscharf belassen, Probleme und Risiken beim Coaching
wenig oder gar nicht reflektieren, scheint überschritten. Allzu
häufig publizierten Autorinnen und Autoren Coaching als neueste
„Wundermethode“, die hilft, ungelöste Schwierigkeiten
jedweder Art in den Griff zu bekommen. Dieser euphorischen
Darstellung soll dezidiert entgegengetreten werden.
Grundsätzlich sind die Inhalte und Verfahrensweisen, die sich
unter dem Label Coaching zusammenfassen lassen, keine echten
Neuentwicklungen. Wollte man diesen Gedanken ernsthaft
weiter verfolgen, so führt dieser sicherlich zu groben Fehleinschätzungen
und falschen Ansprüchen, die unweigerlich in der
berühmten Sackgasse enden würden. In diesem Zusammenhang
sind zwei Fragen von berechtigtem Interesse. Ist der Coaching-Ansatz
nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Und ist er
nicht nur ein neuer Modeartikel, der sich nach einer gewissen
Zeit überlebt haben wird?
Ich verstehe Coaching und Supervision als unterschiedliche
Bezeichnungen derselben Sache. Denn, die Gesichtspunkte,
die im Coaching berücksichtigt werden müssen, sind relativ gut
überschaubar und die Identitäten zwischen Coaching und Supervision
als Beratungsmodelle sind fundamental. Die zweite
Frage möchte ich hingegen mit einem klaren „Nein“ beantworten.
Denn seit Mitte der 70-er Jahre in den USA und seit Mitte
der 80-er Jahre in Deutschland findet Coaching vermehrtes
Interesse im Management, welches sich bis heute weiter verstärkt
hat. Es ist sicherlich keine Übertreibung zu behaupten,
dass Coaching sich in der Personalentwicklung und im Management fest etabliert hat und aus beiden Bereichen heute
nicht mehr wegzudenken ist.
Ich hoffe, dass die Leserinnen und Leser nach der Lektüre dieses
Textes meinen oben gegebenen Antworten folgen und vielleicht
auch zustimmen können, jedoch nicht müssen.
Die folgende Auseinandersetzung mit dem Thema Coaching
soll aus verschiedenen Perspektiven unternommen werden, um
möglichst die theoretischen Grundlagen zu bearbeiten und um
auf die verwandtschaftliche Nähe zur Supervision zu verweisen.
Bei der Verwendung des Begriffs „Coaching“ stellt sich schon
ein erstes gravierendes Grundproblem ein: Coaching basiert
auf keinem einheitlichen Konzept, wie in der einschlägigen Literatur
immer wieder hervorgehoben wird. Man muss zwischen
verschiedenen Modellen und Verfahrensweisen, die mehr oder
weniger fundiert sind und im Sprachgebrauch oft sehr allgemein
unter dem Begriff „Coaching“ erfasst sind, unterscheiden.
Der für diesen Text verwendete Coaching-Begriff meint keinen
bestimmten Beratungsansatz, sondern steht als Oberbegriff für
die unterschiedlichen Versionen des Coaching, welches überwiegend
im Arbeitsleben angewendet wird, zur Verfügung
(Rauen, 2001, S. 16).
Diverse Autorinnen und Autoren betonen immer wieder die
Grenzen herkömmlicher Trainings- und Beratungsmethoden
und den beschleunigten Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft
mit all seinen positiven und negativen Auswirkungen.
Diese Gegebenheiten haben nach ihrem Verständnis ursächlich zur Entwicklung von Coaching-Modellen beigetragen (vgl.
Radatz, 2002, S. 31-80; Levold, 2003, S. 55-88; Backhausen, Thommen, 2003, S. 19-102).
Man sollte vermuten, dass im Laufe der letzen Jahre die Inhalte
und Funktionen von Coaching klarer geworden sind. Eher das
Gegenteil trifft zu: Es gibt noch zu wenig Konsens zwischen Theoretikern
und Praktikern und es werden zum Teil äußerst unterschiedliche,
subjektive Haltungen vertreten und praktiziert. Viele
in diesem Feld Tätige scheinen ein eigenes Coaching-Modell
entwickelt zu haben (vgl. König, 1993, S. 420-426). Nur selten
finden sich in Veröffentlichungen Theorie geleitete CoachingSysteme,
die begründet, weiter entwickelt und überprüft werden.
Die Mehrzahl der Publikationen verzichten auf erklärende
und vergleichende Darstellungen verschiedener Standpunkte
(Rauen, 2001, S. 16).
Alles in allem berücksichtigt kann die augenblickliche Situation
gewiss enttäuschen. Fast jede beliebige Form von Training, Unterricht,
Seminar, Beratung usw. führt die Bezeichnung Coaching
und wird von selbsternannten Coaches auch ausgeübt.
Es hat den Anschein, dass fast alles in der Erwachsenenbildung
zu „Coaching“ geworden ist und jeder sich etwas von dieser
Modewelle verspricht (Butzko, 1993, S. 48-50).
Eine fundierte Einschätzung von Seiten der Kunden bzw. Klienten,
ob das, was im Coaching angeboten wird, auch tatsächlich
Coaching sein wird, scheint nur sehr begrenzt möglich
(Rückle, 2000, S. 22).
Dem ernsthaften Interessenten an der Thematik können die
Konsequenzen dieser Situation nicht genügen: Verunsicherte
potentielle Kunden, in einem unübersichtlichen Problemfeld
und Praktiker, die aufgrund der Arbeit von selbsternannten Coaches
mit zum Teil eher zweifelhaften Konzepten, um ihr Ansehen
fürchten müssen. Die Definitionen von Begriffen und Konzepten
ist für das Beratungssystem Coaching unabdingbar und
dienen den Praktikern als Orientierungshilfe für Entscheidungsverhalten
(Rauen, 2001, S. 17).
1 Es hatten 366 Weiterbildungsanbieter und 98 Unternehmen an der Befragung teilgenommen.
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