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Was verbirgt sich hinter dem Label Coaching?
1 Einleitung
„Coaching“ als Beratungsmethode und auch als Begriff ist heute
aus dem Weiterbildungssektor nicht mehr wegzudenken. Es
gehört zu den Top-Themen in diesem Bereich, wie die Trendanalyse1
des Fachmagazins „managerSeminare“ aus dem Jahr
2003 ergibt (managerSeminare 2004, S. 3). Mehr noch: Es besteht
bei Anbietern und Nachfragern Konsens, dass Coaching
in Zukunft in seiner Bedeutung wachsen wird (ebd., S. 3). Wenn
der Blick sich auf die intensive Vermarktung und das Boomen
des Begriffs „Coaching“ richtet, so taucht in dem kritischen
Denker die Frage auf, ob die Beratungs- und Weiterbildungsbranche
dabei ist, den Gegenstand Coaching selbst zu erschaffen?
Um eine mögliche Position vorwegzunehmen: Ja
und nein. Im Kapitel 2.4 „Supervision, die eineiige Zwillingsschwester
von Coaching“ werden die Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zwischen Coaching und Supervision und die starke
Übereinstimmung beider Konzepte herausgearbeitet. Die
theoretischen und konzeptionellen Grundlagen im Coaching
sind in vielen Bereichen der Supervision entliehen und bestimmen
beträchtlich und essentiell das Beratungsmodell Coaching.
Die große Zahl von Veröffentlichungen zum Thema Coaching
erscheint in Anbetracht des noch relativ jungen Beratungsinstruments
gerechtfertigt, da neue Modelle dazu einladen sich
mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen und sie von anderen
Modellen auszugrenzen, sie weiter zu differenzieren und sie
auch betont zuzuspitzen. Der Gipfelpunkt für Veröffentlichungen, die das eigene Coaching-Konzept begrifflich und theoretisch
unscharf belassen, Probleme und Risiken beim Coaching
wenig oder gar nicht reflektieren, scheint überschritten. Allzu
häufig publizierten Autorinnen und Autoren Coaching als neueste
„Wundermethode“, die hilft, ungelöste Schwierigkeiten
jedweder Art in den Griff zu bekommen. Dieser euphorischen
Darstellung soll dezidiert entgegengetreten werden.
Grundsätzlich sind die Inhalte und Verfahrensweisen, die sich
unter dem Label Coaching zusammenfassen lassen, keine echten
Neuentwicklungen. Wollte man diesen Gedanken ernsthaft
weiter verfolgen, so führt dieser sicherlich zu groben Fehleinschätzungen
und falschen Ansprüchen, die unweigerlich in der
berühmten Sackgasse enden würden. In diesem Zusammenhang
sind zwei Fragen von berechtigtem Interesse. Ist der Coaching-Ansatz
nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Und ist er
nicht nur ein neuer Modeartikel, der sich nach einer gewissen
Zeit überlebt haben wird?
Ich verstehe Coaching und Supervision als unterschiedliche
Bezeichnungen derselben Sache. Denn, die Gesichtspunkte,
die im Coaching berücksichtigt werden müssen, sind relativ gut
überschaubar und die Identitäten zwischen Coaching und Supervision
als Beratungsmodelle sind fundamental. Die zweite
Frage möchte ich hingegen mit einem klaren „Nein“ beantworten.
Denn seit Mitte der 70-er Jahre in den USA und seit Mitte
der 80-er Jahre in Deutschland findet Coaching vermehrtes
Interesse im Management, welches sich bis heute weiter verstärkt
hat. Es ist sicherlich keine Übertreibung zu behaupten,
dass Coaching sich in der Personalentwicklung und im Management fest etabliert hat und aus beiden Bereichen heute
nicht mehr wegzudenken ist.
Ich hoffe, dass die Leserinnen und Leser nach der Lektüre dieses
Textes meinen oben gegebenen Antworten folgen und vielleicht
auch zustimmen können, jedoch nicht müssen.
Die folgende Auseinandersetzung mit dem Thema Coaching
soll aus verschiedenen Perspektiven unternommen werden, um
möglichst die theoretischen Grundlagen zu bearbeiten und um
auf die verwandtschaftliche Nähe zur Supervision zu verweisen.
Bei der Verwendung des Begriffs „Coaching“ stellt sich schon
ein erstes gravierendes Grundproblem ein: Coaching basiert
auf keinem einheitlichen Konzept, wie in der einschlägigen Literatur
immer wieder hervorgehoben wird. Man muss zwischen
verschiedenen Modellen und Verfahrensweisen, die mehr oder
weniger fundiert sind und im Sprachgebrauch oft sehr allgemein
unter dem Begriff „Coaching“ erfasst sind, unterscheiden.
Der für diesen Text verwendete Coaching-Begriff meint keinen
bestimmten Beratungsansatz, sondern steht als Oberbegriff für
die unterschiedlichen Versionen des Coaching, welches überwiegend
im Arbeitsleben angewendet wird, zur Verfügung
(Rauen, 2001, S. 16).
Diverse Autorinnen und Autoren betonen immer wieder die
Grenzen herkömmlicher Trainings- und Beratungsmethoden
und den beschleunigten Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft
mit all seinen positiven und negativen Auswirkungen.
Diese Gegebenheiten haben nach ihrem Verständnis ursächlich zur Entwicklung von Coaching-Modellen beigetragen (vgl.
Radatz, 2002, S. 31-80; Levold, 2003, S. 55-88; Backhausen, Thommen, 2003, S. 19-102).
Man sollte vermuten, dass im Laufe der letzen Jahre die Inhalte
und Funktionen von Coaching klarer geworden sind. Eher das
Gegenteil trifft zu: Es gibt noch zu wenig Konsens zwischen Theoretikern
und Praktikern und es werden zum Teil äußerst unterschiedliche,
subjektive Haltungen vertreten und praktiziert. Viele
in diesem Feld Tätige scheinen ein eigenes Coaching-Modell
entwickelt zu haben (vgl. König, 1993, S. 420-426). Nur selten
finden sich in Veröffentlichungen Theorie geleitete CoachingSysteme,
die begründet, weiter entwickelt und überprüft werden.
Die Mehrzahl der Publikationen verzichten auf erklärende
und vergleichende Darstellungen verschiedener Standpunkte
(Rauen, 2001, S. 16).
Alles in allem berücksichtigt kann die augenblickliche Situation
gewiss enttäuschen. Fast jede beliebige Form von Training, Unterricht,
Seminar, Beratung usw. führt die Bezeichnung Coaching
und wird von selbsternannten Coaches auch ausgeübt.
Es hat den Anschein, dass fast alles in der Erwachsenenbildung
zu „Coaching“ geworden ist und jeder sich etwas von dieser
Modewelle verspricht (Butzko, 1993, S. 48-50).
Eine fundierte Einschätzung von Seiten der Kunden bzw. Klienten,
ob das, was im Coaching angeboten wird, auch tatsächlich
Coaching sein wird, scheint nur sehr begrenzt möglich
(Rückle, 2000, S. 22).
Dem ernsthaften Interessenten an der Thematik können die
Konsequenzen dieser Situation nicht genügen: Verunsicherte
potentielle Kunden, in einem unübersichtlichen Problemfeld
und Praktiker, die aufgrund der Arbeit von selbsternannten Coaches
mit zum Teil eher zweifelhaften Konzepten, um ihr Ansehen
fürchten müssen. Die Definitionen von Begriffen und Konzepten
ist für das Beratungssystem Coaching unabdingbar und
dienen den Praktikern als Orientierungshilfe für Entscheidungsverhalten
(Rauen, 2001, S. 17).
1 Es hatten 366 Weiterbildungsanbieter und 98 Unternehmen an der Befragung teilgenommen.
1.1 Explosion des Angebots an Coaching
Seit den 90-er Jahren ist Coaching im Berufsleben von Managern
und Führungskräften bekannt und wird von diesen auch
weithin akzeptiert. Durch die nachweisbaren Erfolge brachte
dies den Anwendern einen höheren Status und eine größere
Attraktivität ein. Die inhaltlichen Ableitungen und Begriffskoppelungen
wie z.B. „Flugangst-Coaching“, „Eltern-Coaching“,
„Astrologie-Coaching“, um nur ein paar wenige skurrile Formen
zu nennen, machen deutlich, wie Erfolg versprechend und
hochgeschätzt Coaching mittlerweile gehandelt wird. „Das
Attribut „Coaching“ adelt selbst diejenigen, die von seiner Herkunft
und Anwendung kaum Ahnung haben” (Böning, Fritschle,
2005, S. 25).
Die Zahl der Coaching-Anbieter nimmt weiterhin rasant zu. Laut
einem Artikel der Harvard Business Review (Ausgabe Juni 2002)
arbeiteten 1996 2.000 Coaches in den USA, inzwischen liegt die
Zahl bei ca. 10.000, für das Jahr 2007 werden 50.000 prognostiziert.
Obwohl die Offerten an Coaching zurzeit breiträumig laufend
zunehmen, lässt dies nicht den Schluss zu, dass in diesem
Zusammenhang etwa ein neues Berufsbild „Coaching“ entsteht.
Vor dem Hintergrund der berufspolitischen Strategie der
Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv), die dieses Anliegen
seit Jahren für das Berufsbild des Supervisors standespolitisch
betreibt, erscheint nur wenig hoffnungsvoll. Im Moment
spricht einiges eher dafür, dass Coaching wie auch Supervision
als eine professionelle Beratungsmaßnahme neben anderen
anzusiedeln ist, die von kompetenten Personen in unterschiedlichen
Berufsfeldern zum Einsatz kommt. Diese unterschiedlichen
professionellen Beratungsansätze gilt es entsprechend
der theoretischen Grundlagen, Methoden und Anwendungsfeldern
voneinander abzugrenzen. Diese anspruchsvolle Aufgabe
ist bisher eher diffus und wenig systematisch vorgenommen
worden (Levold, 2003, S. 61).
1.2 Coaching als Instrument der Personalentwicklung
Die Masse der einschlägigen Veröffentlichungen zum Thema
Coaching stellt es in den Kontext von Unternehmungen (z.B.
Looss, 1991, 1997; Weßling u. a., 1999; Heß, Roth, 2001; Rauen,
2000, 2001, 2003; Backhausen, Thommen, 2003; MartensSchmid,
2003; Böning, Fritschle, 2005). Dort gilt es heute als innovative
Maßnahme für die Personalentwicklung. Dieses große
Interesse des Personalmanagements am Coaching rührt daher,
dass es insgesamt über weite Strecken eher stiefmütterlich da-
hin vegetierte und die anfänglich etablierten Personalentwicklungskonzepte
oft zu pauschal und einseitig orientiert blieben.
Erst seit kurzem wird in der Betriebswirtschaftslehre der Personalbereich
als wichtige Managementfunktion betrachtet. Erschöpften
sich früher die Aufgaben der Personalabteilungen
vornehmlich auf die Personalverwaltung mit Lohn- und Gehaltsabrechnungen,
die Erarbeitung von Arbeitsverträgen und
das Führen von Personalstatistiken etc., so stehen heute die anspruchsvollen
Tätigkeiten wie die Gewinnung, der Aufbau, die
Entwicklung und die Erhaltung des Personals im Vordergrund
(Schreyögg, 1999, S. 48). Damit einhergehend wachsen natürlich
die Funktionen der Personalabteilungen rasch an und besonders
die Konzeptualisierung von Personaltentwicklungsmaßnahmen. In großen Unternehmen entstanden in den letzten
Jahren oft eigene Personalentwicklungsabteilungen. Diese waren
in der Mehrzahl damit beschäftigt, dass ihre Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter sich zusätzliche Sachkompetenzen aneignen
konnten, um die anspruchsvoller gewordenen Aufgaben
erfüllen zu können.
Seit Ende der 70-er Jahre und speziell seit Mitte der 80-er Jahre,
entwickelten auch Topmanager ein verstärktes Interesse an
ihren konzeptionellen und vor allem ihren sozialen Schlüsselkompetenzen
(ebd., S. 49). Die Ursachen hierfür sind vielfältig
(ebd., S. 4):
- Durch den Anstieg technologischer Komplexität von Arbeitsvorgängen
in Organisationen und einer korrespondierenden
Zunahme von Umweltkomplexität, wurden auch komplexere Planungshaltungen als bisher von den
Managern gefordert (ebd., S. 49).
- Viele Unternehmen bieten ähnliche Produkte an, was zu
einem erhöhten Konkurrenzdruck führt. Durch eine
größtmögliche Kundenbindung an ihre Produkte und ihr
Unternehmen, versuchen diese den Druck zu bewältigen.
In diesem Kontext wurden neue Arten von Qualitätskontrollen
und einer permanenten Steigerung von
Qualität notwendig. Das Ergebnis dieses Phänomens finden
wir heute in allen Unternehmen, mit den dort fest
etablierten Qualitätszirkeln. Diese Prozesse zu begleiten,
stellt neue Anforderungen an Manager (ebd., S. 49).
- Durch die allgemeine Tendenz von Organisationen,
Rangordnungen abzuschaffen und beweglichere Strukturen
aufzubauen, werden auch neue Managementhaltungen
notwendig (ebd., S. 49).
All diese Veränderungen müssen im Zusammenhang mit einer
Arbeitsmarktentwicklung, die für das kommende Jahrzehnt eine
Verringerung von qualifizierten Führungskräften voraussagt,
betrachtet werden. Wollen die Firmen guten Managernachwuchs
an sich binden, werden sie diesem vielfältige Mitentscheidungsmöglichkeiten
und entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen
einräumen (ebd., S. 50). Coaching als
personenbezogene Einzelberatung nimmt sicherlich als Ergänzung
oder auch als Alternative zu den traditionellen Formen
von Trainings und Seminaren hier im Rahmen der Personalentwicklung
einen hochwertigen Platz ein.
2 Definition von Coaching
Im deutschen Sprachraum wird Coaching seit Mitte der 80-er
Jahre als Instrument der Personalentwicklung in der Wirtschaft
und Verwaltung präsentiert und hat seitdem einen immer grö-
ßeren Stellenwert eingenommen (vgl. Schreyögg, 1999; Rauen,
2001; Böning, Fritschle, 2005). Die hohe Anzahl von Veröffentlichungen
und das in der Praxis heute fast jede große Unternehmensberatung
diesen Service anbietet, veranschaulicht
diese Entwicklung nochmals sehr nachdrücklich (Weber, 1990,
S. 90). Im Allgemeinen verstehen die Experten unter Coaching
einen personenbezogenen, unterstützenden Beratungsprozess,
in dem der Coach mit seinem Klienten eine Beratungsbeziehung
aufnimmt. Die Inhalte der Beratung können sowohl berufliche
als auch private Anliegen des Gecoachten sein.
„Coaching ist eine Kombination aus individueller Beratung,
Betreuung, Stützung, Konfrontation und Einzeltraining. Seine
Methoden sind nondirektive Gesprächsführung, analytische
Techniken, Skilltraining, Dialog mit Rollentausch und vieles
mehr. Es ist ein neuer Weg, der allerdings an alte Traditionen
anknüpft“ (Geissler, Günther, 1986, S. 3).
Die einflussreichste Coaching-Variante im deutschsprachigen
Raum – wenngleich diese nicht die ursprüngliche Form darstellt
– ist die Einzelbetreuung von Führungskräften durch externe
Berater. Dieser weist sich durch seine Professionalität zu Inhalten
und Prozessen aus, sowie der Vertrautheit mit Unternehmenswirklichkeiten
(vgl. Looss, 1991; Rückle, 1992; Hauser, 1993; Böning, 1994, 2000; Schreyögg, 1999; Rauen, 2001; Radatz, 2002;
Backhausen, Thommen, 2003; König, Volmer, 2003).
Dem ungeachtet kann nicht von dem „Coaching“ gesprochen
werden, da das Wort zu einem „universellen Containerbegriff“
mutierte, welches für alles und jedes Verwendung findet
(Böning, Fritschle, 2005, S. 30). König weist schon 1993 auf
diese Entwicklung hin und spricht in diesem Zusammenhang
von einer „Sprachhülse“ und einem „Trojanischen Pferd“, das
dazu dient, psychologische Dienstleistungen in ein fremdes
Gebiet zu transportieren (König, 1993, S. 423).
Im Augenblick lässt sich unter dem Label „Coaching“ „zwischen
seriösen, schillernden und fragwürdigen Aktivitäten beinahe
alles finden“ (Böning, Fritschle, 2005, S. 26).
2.1 Hintergrund
In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnete der Begriff
„Coach“, die Kutsche, später wurde auch mit diesem Begriff
bzw. „Coachman“ der Kutscher bezeichnet. Der Begriff tauchte
bereits im 15. Jahrhundert im Englischen auf und hat seine
Wurzeln in der ungarischen Sprache: „Kocsi (szekér)“ ein „Gefährt
aus Kocs“, dem Bauort, der ersten Kutsche. Seit 1830 wurden
in Oxford die Tutoren oder Repetitoren, die Studenten auf
das Examen vorbereiteten, als Coach bezeichnet. Im Sport ist
der Begriff seit 1861 bekannt und gelangte seit dieser Zeit zu
seiner Popularität (Rauen, 2001, S. 20; Levold, 2003, S. 65f.).
In den 50-er Jahren taucht er erstmals in der Managementliteratur
auf. Im Zentrum stand dabei die Verantwortung des
Vorgesetzten für die berufliche Entwicklung seiner
Untergebenen. In diesem Sinne war Coaching eine
Führungsaufgabe in einer hierarchischen Beziehung. Die
Inhalte waren ausschließlich auf sachliche Fragen beschränkt
(Levold, 2003, S. 65f.).
Im Sport wird der Begriff schon seit einiger Zeit für die Beratung,
Betreuung und Motivierung von Spitzensportlern verwendet.
Insbesondere die mentale Vorbereitung und Betreuung vor,
während und nach dem Wettkampf stehen hierbei im Fokus.
Der Einsatz von gedanklichen Techniken, versetzt den Sportler
in einen erhöhten Aufmerksamkeitsprozess, der Selbstzweifel
und Ängste überwinden hilft und die körperlichen, geistigen
und seelischen Ressourcen in bestmöglicher Weise zum Zeitpunkt
des Wettkampfes freisetzt. Dieser sportbezogene Coaching-Prozess
zur Leistungssteigerung führte in den 70-er Jahren
zu einem Interesse, diese Maßnahmen auf das Top-Management
von Industrieunternehmen zu transportieren (ebd., S. 66).
Das Coaching, welches Mitte der 80-er Jahre als Beratungssystem
aus der Praxis heraus entstand, hat keinen spezifischen
modelltheoretischen Hintergrund, d.h. es kann nicht eindeutig
nur einer bestimmten Theorie zugerechnet werden (Rauen,
2003, S. 23). Es bestehen mehrere theoretische Bezüge, insbesondere
zur Prozessberatung (vgl. Schein, 2000) und zur Supervision
(Rauen, 2001, S. 22). Ferner wird es durch Anteile von Expertenberatung
(König, Volmer, 2003, S., 12f.) Training (Eck,
1990, S. 241) und Führungsberatung (Schreyögg, 1999, S. 61)
ergänzt. Somit basiert Coaching modelltheoretisch auf mehreren
unterschiedliche Konzepte, was wiederum die mannigfaltigen
Assoziationen zum Begriff „Coaching“ expliziert. Durch die
Kombination bestehender Systeme in einem neuen Bezugsrahmen
entwickelte sich im Grunde das Innovative des Coaching
- siehe Abbildung 1.
Abbildung 1:
Ausgangspunkte des heutigen Coaching-Verständnisses (Quelle: Rauen, 2003, S. 23)
2.2 Motive für die Coaching-Nachfrage in der Personalentwicklung
Das Coaching als Einzelberatung für das Top-Management
durch einen organisationsexternen Coach war Mitte der 80-er
Jahre eine Reaktion auf die typische Problemsituation einer elitären
Klientel (Böning, 1994, S. 174f.). Zu den spezifischen Problemen
gehören: Die Erwartung der Umwelt von Spitzenleistungen;
der Konkurrenzdruck von Kollegen und fordernden und
sich profilierenden Mitarbeitern. Diese Konstellationen führen
unter anderem dazu, dass neutrale Rückmeldungen auf das
eigene Verhalten der Manager kaum noch von ihnen erwartet
werden. Dieser Mangel an Feedback hat bedeutsame Folgen:
„Allmachtsvorstellungen, Isolationsgefühle und Einsamkeit, Leistungsverlust,
Wahrnehmungsverzerrungen, Beurteilungstendenzen
(„Betriebsblindheit“), Verhaltenseinschränkungen, Motivationsprobleme“
(Rauen, 2003, S. 1).
Diese Problemlage ist nicht nur allein auf das Top-Management
beschränkt, sondern ist fast allen Führungskräften und Selbständigen,
in mehr oder minder starkem Ausmaß bekannt
(Schreyögg, 1999, S. 62; Rauen, 2001, S. 28f.). Entsprechende
Schwierigkeiten wurden durch die Tendenz, diese Probleme zu
ignorieren, häufig noch verschärft. Führungskräfte haben Angst
davor, dass ihnen ihre Probleme als Schwäche ausgelegt werden
könnte und sie dadurch an Ansehen verlieren. Ihre Führungsrolle
interpretieren sie dementsprechend einseitig, weil sie
meinen, diese müsste ihnen alles abverlangen. Gleichzeitig
schützt diese Rolle, die es ihnen aber auch ermöglicht neurotisches Verhalten, persönliche Macken, Alkoholismus, Medikamenten-
und Drogensucht, von der Umwelt oft toleriert, auszuleben
(Rauen, 2001, S. 28). Bei dieser Art von Problemkonstellationen
ist Coaching natürlich nicht mehr die adäquate Arbeitsform.
Hier gehört die Organisation zu einem nach gelagerten
zuständigen Psychotherapeuten oder Psychiater zu der Verantwortung
eines Coaches (Looss, 1997, S. 137f.).
Ende der 80-erJahre waren über 75 % persönliche Problemlagen
die Anlässe für ein Coaching. Die Auslöser für ein Coaching
haben sich zwischenzeitlich stark modifiziert - siehe Abbildung 2.
Abbildung 2:
Motive für ein Coaching (Quelle: Böning, 2000, S. 30)
Wie aus der Abbildung zu ersehen ist, sind heute die wichtigsten
Anlässe für ein Coaching die Verbesserung der Führungssituation
und die Vorbereitung auf neue Aufgaben. Außerdem
werden mit fast 25 % der Nennungen Veränderungsvorhaben,
Konflikte, Verhaltensdefizite und Folgemaßnahmen benannt.
Persönliche Problemlagen sind 1998 hingegen für einen Coaching-Anlass
nahezu bedeutungslos geworden.
2.3 Begriffsdefinition
Im deutschen Sprachraum werden unter dem Oberbegriff
„Coaching“ viele verschiedenartige Verfahren verstanden, so
dass im Laufe der Entwicklung des Begriffes ein Übermaß an
Definitionen, Methoden und Verfahrensweisen entstanden sind
(Rauen, 2001, S. 39). In diesem Zusammenhang spricht Böning
(1994) vom Coaching dann auch als „Container-Begriff“,
„ ... in den jeder hineininterpretiert, was er gerade braucht, um
das eigene Dienstleistungsangebot möglichst attraktiv erscheinen
zu lassen“ (ebd. S. 172).
Obendrein wird der Begriff zum Teil wenig differenziert und zudem
ungenau verwendet. Folgerichtig schreibt König (1993):
„Das Konzept und die Methode des Coachings sind noch nicht
vorhanden. Es gibt viele Konzepte, wie es Personen hat“ (ebd.,
S. 424).
Wenngleich seit Erscheinen dieses Artikels 13 Jahre vergangen
sind, so hat Königs Urteil an Aktualität nichts verloren. Ganz im
Gegenteil, es ist seit den 90-er Jahren zu einer Inflation des Begriffs
„Coaching“ gekommen. Und aus diesem Coaching-Boom
sind viele neue Begriffe erschaffen worden. Hier eine kleine
Auswahl: „EDV-Coaching, Management-Coaching, Rollencoaching,
Individual-Coaching, Konstruktivistisches Coaching,
Systemisches Coaching, Messe-Coaching, Time Coaching,
Crash-Coaching, Inner Coaching, NLP-Coaching, Manager
Coaching, Persönlichkeits-Coaching, Selbst-Coaching, Meistercoaching,
Mitarbeiter-Coaching, Projekt-Coaching, Bussiness-
Coaching, Organisations-Coaching, Team-Coaching”
(Rauen, 2001, S. 39).
Ein grundsätzlich anderes Verständnis von Coaching ist in den
USA und Großbritannien anzutreffen. Dort wird Coaching fast
ausschließlich als entwicklungsorientiertes Führen von Vorgesetzen
verstanden (ebd., S. 40).
Im deutschen Sprachraum ist es bis heute nicht gelungen eine
einheitliche, allgemein akzeptierte und verbindliche Definition
in Bezug auf Inhalt und Form des Coaching zu finden. Trotz all
dieser definitorischen Probleme lassen sich eigentlich genügend fundamentale Merkmale analysieren, die ausreichend
Abgrenzungen zu anderen Systemen aufzeigen (ebd., S. 41).
So lassen sich beispielsweise fast alle Coaching-Formen auf der
Zeitebene den mittelfristigen Realisierungen zurechnen. Im
Sonderfall sind die Grenzen hier aber auch eher fließend.2 Auf
der Qualifikationsebene muss der Coach zwischen dem Spezialisten und Generalisten eingestuft werden – siehe Abbildung
3.
Abbildung 3:
Korrelation zwischen Zeit – und Qualifikationsebene (Quelle: Rauen, 2001, S. 42)
Auf der Basis der bisherigen Erläuterungen kann unter dem
Begriff „Coaching“ eine „Kombination aus individueller, unterstützender
Problembewältigung und persönlicher Beratung auf
Prozessebene für ein breites Spektrum von beruflichen und privaten
Problemen“ (Rauen, 2001, S.63) verstanden werden. Allgemeine
Übereinstimmung besteht darin, dass das oberste Ziel
von Coaching immer die Hilfe zur Selbsthilfe und zur Selbstverantwortung
sein muss (Jung, 1991, S. 139; Czichos, 1991, S. 67;
Birkenbihl, 1992, S. 8; Rückle, 1992, S. 70; Bayer, 1995, S. 93; Rauen,
2001, S. 63). Es ist nicht die Funktion des Coaches die Probleme
seiner Klienten zu lösen; dies müssen die Klienten letzten
Endes immer selber leisten. Der Coach übernimmt vielmehr die
Verantwortung den Beratungsverlauf so zu steuern, dass der
Klient einen optimalen Zugang zu seinen Ressourcen entwickeln
kann, er sich neue Wahlmöglichkeiten erschließt, die
dann von ihm auch genutzt werden. Somit ist das Ziel eines
Coaching immer auch die Wahrnehmung, das Erleben und
das Verhalten zu erweitern bzw. zu verbessern - siehe Abbildung 4.
Abbildung 4:
Definition von Coaching (Quelle: Rauen, 2001, S. 64)
Der Coach handelt während des gesamten Beratungsprozesses
stets transparent und auf der Basis mit dem Klienten zuvor
erörterter „Spielregeln“. Der Ausgangspunkt aller Aktionen ist
die persönliche Beziehung zum Klienten.
Coaching verläuft nicht einseitig, in dem der Coach den aktiven
Part übernimmt und seine Tätigkeit am Klienten vollzieht,
sondern versteht sich als einen interaktiven Prozess auf gleicher
Beziehungsebene.
2 Einen Sonderfall bildet das so genannte Langzeit-Coaching. Hier wird der
Klient, meist eine hochrangige Führungskraft, unter Umständen über mehrere
Jahre hinweg begleitet. Die Termine haben dann einen ca. vierwöchigen
Rhythmus (Schreyögg, 1999, S. 305 f., S. 317f.).
2.4 Supervision, die eineiige Zwillingsschwester von Coaching
Supervision und Coaching sind in vielen Aspekten sehr ähnlich,
so z.B. in den Optionen der vorhandenen Settings; beide dienen
der beruflichen Beratung von Einzelnen und Kleingruppen.
Die Zielgruppen in der Supervision waren jedoch ursprünglich
die sogenannten Beziehungsarbeiter wie z.B. ehrenamtliche
Mitarbeiterinnen, Sozialhelfer, Sozialarbeiter und –pädagogen,
Erzieherinnen, Psychotherapeuten usw. Im Laufe des letzten
Jahrhunderts hat sich jedoch die Supervision dermaßen weiterentwickelt,
dass sie heute keiner Beschränkung auf bestimmte
Zielgruppen mehr unterliegt (Buchinger, 2006, S. 9ff.;GregorRauschtenberger,
Hansel, 1993, S. 38).
Wolf (1995, S. 26) sieht für die weitere Entwicklung der Supervision
sogar die Möglichkeit sich in der Wirtschaft als prozessorientierte
Beratungsform zu etablieren.
Die Supervision kann wie folgt definiert werden:
„Supervision ist eine berufsbezogene Beratungsform, die auf
dem Hintergrund der jeweiligen Organisation die Reflexion,
Verarbeitung und Weiterentwicklung personaler und sozialer
Fähigkeiten und Fertigkeiten im Arbeitsalltag fördert. Supervision
macht sich die Erkenntnisse der Organisations- und Kommunikationswissenschaften
sowie der Psychologie und Gruppendynamik
zunutze“ (Deutsche Gesellschaft für Supervision e.V. in
Wolf, 1995, S. 26).
Diese Definition lässt ein hohes Maß an Übereinstimmung zum
Coaching erkennen. So betonen auch einige Experten des
Coachings diese hohe Kongruenz zwischen der Supervision und
dem Coaching (Fatzer, 1990, S. 44; Sievers, 1991, S. 273; Doppler,
1992, S. 38; Butzko, 1992, S. 90, 1993, S. 50) und unterstreichen
hierbei, dass die Anwendung des Coaching als eine Art
„Management-Supervision“ gesehen werden kann,
„ ... weil Supervision als Handlungskonzept in den helfenden
Berufen praktisch alles abdeckt, was auch im Coaching betrieben
wird. Doch stoßen wir hier an sprachkulturelle Grenzen:
Der Begriff Supervision ist im Kontext von Management und Unternehmung
noch nicht anschlussfähig“ (Looss, 1991, S. 42).
Die Ursachen für diese „sprachkulturellen Grenzen“ und die
mangelnde Anschlussfähigkeit liegen sicherlich in der Historie
der Supervision. Das ursprüngliche Arbeitsmilieu der Supervision
ist traditionell zu weit von dem Wirkungsbereich des Managements
entfernt (Schreyögg, 1999, S. 59). Die Begriffsbestimmung
„Coaching“ zielt absichtlich auf eine Abgrenzung bezüglich
der Klientel (Gregor-Rauschtenberger, Hansel, 1993, S. 38ff.).
Überdies zeichnet sich der Coach in Abgrenzung zum klassischen
Supervisor ebenfalls durch seine wirtschaftlichen Fach-
und Feldkompetenzen aus; denn hier liegen häufig auch die
Schwerpunkte im Coaching. Gerade die Verbindung von fachlicher
und psychologischer Beratung macht das Coaching für
die Zielgruppe der Führungskräfte interessant.
Abbildung 5:
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Coaching in der Personalentwicklung und Supervision (Quelle: Rauen, 2001, S. 66)
3 Qualifikationserwartungen an den Coach
Vor dem Hintergrund der bisherigen Darstellungen sollte eigentlich
deutlich geworden sein, wie hoch die Anforderungen an
einen Coach sind. Das folgende ironische Zitat von Baisch
(1988) bringt dies sehr gut zum Ausdruck:
„ So verfügt der Super-Coach über das emotionale Verständnis
der Ehefrau, versteht aber eine Menge vom Berufsleben, kennt
als Führungskraft das Leben im Unternehmensdschungel mit
seinen Spielregeln und Zwängen, besitzt therapeutische Kompetenz,
ohne sich aber wie ein Psychotherapeut zu verhalten.
Er besitzt die innere Einstellung eines zum Sieg entschlossenen
Leistungssportlers und weiß, dass es außer der Arbeit auch
noch andere Werte gibt“ (ebd., S. 36).
In der Diskussion, in welchen Bereichen ein Coach qualifiziert
sein sollte, lassen sich zwei grundlegende Auffassungen ausmachen:
Auf der einen Seite geht man davon aus, dass neben
dem psychologischen und betriebswirtschaftlichen Fachwissen
gepaart mit hinlänglicher Selbsterfahrung eine umfangreiche
Feldkompetenz3 unerlässlich ist. Diese Position ist die am häufigsten
vertretene. Sie soll daher auch in den anschließenden
Erläuterungen näher veranschaulicht werden.
Auf der Gegenseite steht eine Gruppe von Fachleuten, die einen
Coach als „reinen Prozessexperten“ definieren, der von
den beruflichen Inhalten seines Klienten kaum etwas wissen
muss. Ganz im Gegenteil: Derartiges Wissen wird hier sogar als
mögliche Beeinträchtigung verstanden, da ein mit Prozess- und
Feldkompetenz befähigter Coach sich dem Klienten gegenüber
nicht nur als „Superexperte und Übermensch“ darbietet, -
und somit ein Beziehungsgefälle nach sich ziehen würde -, sondern
durch seine Kenntnis auch für eine mögliche Betriebsblindheit
anfällig wäre (Schreyögg, 1999, S. 130).
Hauptsächlich derartig hoch spezialisierten Experten mit breiter
Feldkompetenz fällt es sehr schwer, bestimmte Konstellationen
unvoreingenommen anzuschauen und zu analysieren. Überdies
können sich Beziehungsprobleme einstellen, wenn der
Coach aufgrund seiner hohen Fähigkeiten das Gefühl hat, sein
Klient sei vergleichsweise nur gering kompetent (ebd., S. 131f.).
„Braucht der Coach wirklich Erfahrungen oder technische
Sachkenntnisse auf dem Gebiet, in dem er coacht? Die Antwort
ist nein. Er braucht sie nicht, wenn er wirklich unvoreingenommen
bewusstseinsfördernd wirkt. Wenn er jedoch von dem,
wofür er eintritt, nicht vollständig überzeugt ist, das heißt vom
Potential seines Schützlings und dem Wert der Eigenverantwortung,
dann wird er glauben, er brauche Sachkenntnis, um coachen
zu können. Ich behaupte nicht, dass er Expertenwissen
immer zurückhalten sollte. Der weniger gute Coach setzt es
aber tendenziell zu oft ein und verringert dadurch den Wert
seines Coaching. Denn jedes dem Gecoachten zur Verfügung
gestellte Expertenwissen reduziert dessen Verantwortung“
(Whitmore, 1994, S. 48).
Ähnliche Gedanken vertritt auch Czichos (1991). Er rechtfertigt
ein „inhaltsfreies Coaching“ und „Lernpartnerschaften“. Seiner
Meinung nach ist es für den Coach beziehungsweise den coachenden
Vorgesetzten kaum realisierbar, alles besser zu überblicken
als der Gecoachte beziehungsweise dies demonstrieren
zu müssen. Dies kommt in erster Linie dem Verhältnis zwischen
Coach und Klient zu gute, da in einer Lernpartnerschaft
oder Coaching ein Beziehungsgefälle gemildert wird. Die Kernkompetenz des Coachs sei daher vielmehr die Befähigung,
Prozesse auszulösen und zu begleiten:
„Sie müssen ... Prozesse und Techniken einsetzen können, die
Ihren Mitarbeitern helfen, etwas zu lernen, was Sie selbst nicht
können und eventuell auch nicht zu können brauchen. Wozu
haben Sie denn Mitarbeiter? Sie brauchen sich doch nicht auf
alles selbst zu spezialisieren. Sie sollten sich jedoch als Coach
spezialisieren. Für dieses Konzept bevorzuge ich den Begriff ‚inhaltsfreies
Coaching’“ (ebd., S. 66).
Es sei hier nochmals die Notwendigkeit betont, komplexe, z.B.
betriebswirtschaftliche Entwicklungen generell zu verstehen,
damit überhaupt vernünftig beraten werden kann. Nur mit einer
prozessorientierten Handlungsweise könnte es hier zu gravierenden
Verständnisproblemen kommen, die eher Komplikationen,
anstatt Vertrauen erzielen. Die minimalste Anforderung
an die Feldkompetenz des Coachs sollte infolgedessen das Interesse
an den beruflichen Aufgaben des Klienten sein
(Schreyögg, 1999, S. 132).
3 Unter Feldkompetenz versteht man hier die Vorkenntnisse des Coachs
über das Arbeitsgebiet seines Klienten (Schreyögg, 1999, S. 131).
3.1 Fähigkeiten des hauptberuflichen Coachs
In der einschlägigen Fachliteratur finden sich hierzu mehr oder
minder willkürlich lange Listen mit diversen Eigenschaften. Damit
hier eine differenzierte und verstehbare Darlegung möglich
wird, soll im nachfolgenden zwischen fachlichen und persönlichen
Qualifikationen des Coachs unterschieden werden. Auf
jeden Fall ist es obligatorisch, sich nicht nur Feldkompetenz und
Fachwissen anzueignen, sondern darüber hinaus ist die Fertigkeit
gefragt, dieses Wissen auch entsprechend einordnen und
umsetzen zu können.
Eine Befähigung zur Selbstreflexion und auch der Umgang, von
anderen Personen in Frage gestellt zu werden, kann nicht allein
im Rahmen konventioneller Ausbildungen erlernt werden. Eher
braucht es dazu persönliche Lebenserfahrungen und die
grundsätzliche Fertigkeit, sich realistisch und selbstkritisch einzuschätzen
(Rauen, 2001, S. 149).
3.2 Fachliche Kompetenzen
Hierzu zählen die psychologischen und betriebswirtschaftlichen
Qualifikationen sowie die Feldkompetenzen des Coachs, inklusive
seiner praktischen Berufserfahrungen.
Im Nachstehenden werden die wichtigsten Qualifikationen,
die in der Literatur immer wieder auftauchen, erörtert. Ferner
wird dann dargelegt, im Rahmen welcher Ausbildungen diese
Qualifikationen erlernt werden können. In der Diskussion um die
Kompetenzen sei hier ausdrücklich betont, dass keinem einzelnen
Coach alle diese Qualifikationen zu Eigen sein können. Wie
bereits zuvor bemerkt, kann und sollte der Coach nicht versuchen
als allwissend aufzutreten. In diesem Zusammenhang
geht es eher um eine Ideal-Qualifikation, um die Schwerpunkte
der Qualifikation eines Coachs zu veranschaulichen. Die alltägliche
Arbeitspraxis zeigt denn auch, dass sich Coaches eher
auf gewisse Arbeitsgebiete spezialisieren.
Die Klassifikation in verschiedene Fächer soll keine künstliche
Trennung zwischen den einzelnen Kompetenzbereichen schaffen,
sondern hilft lediglich der Strukturierung und dem Überblick
der diversen Erfordernissen (vgl. Rauen, 2001, S. 150f.; Looss,
1997, S. 189ff.; König, 1993, S. 424; Rasch in Rückle, 1992, S. 258;
Hauser, 1991, S. 233ff.; Jung, 1991, S. 139):
Psychosoziale Kenntnisse
- Wissen über Organisationssysteme und –theorien sowie
der klinischen Psychologie über Individuen und Gruppen
z.B.
- Verhalten und Prozesse in Organisationssystemen
- Verhalten und Prozesse in Gruppen (Gruppendynamik)
- Entwicklungsphasen des Menschen
- Praktische Erfahrungen mit psychotherapeutischen Interventionen,
der Möglichkeit nach mehrere Richtungen,
z.B.
- Familien- und Systemtherapie
- Gesprächspsychotherapie (klienten- und problemzentrierte Gesprächsführung)
- Neurolinguistisches Programmieren (NLP)
- Psychoanalytische Schulen
- Psychodrama bzw. Rollenspiel
- Gestalttherapie
- Provokative Therapie
- Verhaltenstherapie
- Kognitive Therapien
- Transaktionsanalyse u. a.
- Praktische Erfahrungen mit der Handhabung psychologischer Interventionsverfahren und Techniken, z.B.
- Selbstmanagement
- Zeitmanagement
- Kreativitätstechniken
- Konfliktmanagement
- Entspannungstechniken
- Stressbewältigungstechniken
- Mentales Training
- Problemlösemethoden
- Kommunikationstheorien und –techniken u. a.
- Diagnostische Kenntnisse, vor allem über
- Auswahl- und Testinstrumente im Leistungsbereich (z.B. Potentialanalyse, Assessment-Center)
- Krankheitsbilder aus dem klinischen Bereich (z.B. Wissen über Symptome von Suchterkrankungen oder Erschöpfungszuständen etc.)
- Sozialkompetenz im Kontakt mit Menschen
Betriebswirtschaftliche Kompetenzen
- Verständnis für betriebswirtschaftliche Prozesse, besonders Kenntnisse für Managementprozesse
- Erfahrungen mit betriebswirtschaftlichen Methoden
- Kenntnis gebräuchlicher Führungskonzepte
- Kenntnisse des betrieblichen Systems und seiner Funktionsträger
(Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsführung, Personalchefs,
Abteilungsleiter, Gewerkschaftsfunktionäre
etc.)
Ständige Weiterbildung und kontinuierliche Supervision sind
darüber hinaus sinnvoll und unerlässlich, damit „blinde Flecken“
und Übertragungsphänomene rechtzeitig bearbeitet werden
können. Dies ist vor allem deswegen bedeutsam, damit der
Coach sein Feedback seinem Klienten neutral und angemessen
geben kann (Looss, 1991, S. 196f.).
3.3 Persönliche Kompetenzen
Abgesehen von seinen erlernten Methoden muss der Coach
über Eigenschaften verfügen, die eine Kombination seiner Fähigkeiten zu einer fächerübergreifenden, individuellen Kompetenz
ermöglicht. Diese persönliche Kompetenz kann er in gebräuchlichen
Ausbildungssystemen nicht ohne weiteres erwerben.
Diese persönlichen Kompetenzen sind es dann auch, die
eine erfolgversprechende Umsetzung des Coaching erst erlauben.
Er braucht nicht nur Techniken und methodisches Können
für seine Tätigkeit, sondern sein ganz persönlicher Gebrauch
dieser Kompetenzen sind vielmehr Ausdruck seiner Persönlichkeit
(Rauen, 2001, S. 151f).
„Wer nicht interessiert ist, dem fallen auch keine Fragen ein,
selbst wenn er Fragetechnik vor- und rückwärts gelernt hat.
Wer nicht couragiert ist, der formuliert auch keine Kritik, selbst
wenn er ‚Ich-Botschaften’ eingebläut bekam. Ob nun professioneller
Coach oder coachende Führungskraft, wer diese Aufgabe
erfüllen und dem hohen Anspruch einigermaßen gerecht
werden will, muss selber zunächst als Persönlichkeit akzeptiert
sein“ (Rückle, 1992, S. 75).
Aus diesem Grunde ist einer der unerlässlichen Ausgangspunkte
für ein aussichtsreiches Coaching die gegenseitige Akzeptanz
und das beiderseitige Vertrauen. Ohne dieses kann man
nicht seriös beraten bzw. sich glaubwürdig beraten lassen. Existiert
indessen eine Haltung der Parität und gegenseitigen Akzeptanz,
so begünstigt dies wahrscheinlich den Erfolg des Coaching
(ebd., S. 252).
Das Alter des Coachs ist ein psychologisch wichtiger Faktor,
außerdem natürlich auch ein Umstand der umfangreichen Ansprüche
an seine Qualifikationen. In der Regel wird hier eine
Altersklasse ab ca. 40 Jahre aufwärts als verträglich und realistisch
angesehen (Schreyögg, 1999, S. 127; Birkenbihl, 1992, S.
11; Beckermann, Unnerstall, 1990, S. 233f.).
Wenn man die Erfordernisse an die persönlichen Kompetenzen
des Coachs zusammenfasst, so offenbart sich nachstehendes
Qualifikationsprofil (vgl. Rauen, 2001, S. 152f.; Looss, 1997, 189ff.;
König, 1993, S. 424; Ulrich, 1993, S. 55; Birkenbihl, 1992, S. 11;
Rückle, 1992, S. 74; Jung, 1991, S. 139; Hauser 1991, S. 233f.):
Persönliche Kompetenzen
- Lebens- und Selbsterfahrung
- Fertigkeiten zur realen Selbsteinschätzung
- Eigene Erfahrungen in der Führung und Kenntnisse von Organisationen
- Langjährige, ausführliche Beratungserfahrung
- Fortlaufende Reflexion der eigenen Tätigkeit in Supervisionssitzungen
- Ständige Weiterbildung
- Befähigungen redlich zuzuhören
- Achtsamkeit
- Neugier und Interesse an den Angelegenheiten des Klienten
- Bereitschaft zu konfrontieren
- Neutralität, Unabhängigkeit und Vorurteilsfreiheit
- Offenheit und Zivilcourage
- Autorität
- Standfestigkeit in der Vorgehensweise und Frustrationstoleranz bei Stillstand bzw. scheinbaren Rückschritten
- Flexibilität und Abgeklärtheit im Inhalt
- Emotionales Einfühlungsvermögen (Empathie)
- Persönliche Integrität, Glaubwürdigkeit (Kongruenz)
- Differenzierte Loyalität gegenüber dem Klienten (Authentizität)
- Diskretion
3.4 Formale Qualifikationen
Um die Berufsbezeichnung „Coach“ zu führen, bedarf es keinerlei
formaler Qualifikationen. Jeder kann sich Coach nennen,
ohne hierbei gegen Gesetze zu verstoßen.
Dieses Dilemma provoziert geradezu den Missbrauch mit dieser
Berufsbezeichnung und es besteht exakt hier seit vielen Jahren
akuter Handlungsbedarf. Es muss das Interesse der seriösen
Anbieter sein, allgemein annehmbare Qualitätsstandards herzustellen wie diese z.B. in den Bereichen Supervision und Psychotherapie
bereits bestehen.
3.5 Ausbildung
Weil die obligatorischen formalen Qualifikationen fehlen, um
die Berufsbezeichnung „Coach“ führen zu können, gibt es heute
auch noch keine verbindlichen Ausbildungswege.
Mittlerweile werden zwar von einigen Instituten vergleichbare
Aus- bzw. Weiterbildungen dargeboten, jedoch handelt es sich
bisher hierbei um mehr oder weniger Einzellösungen.
Aus den Aufgaben eines Coachs und dem zuvor dargelegten
Qualifikationsprofil, lassen sich aber durchaus konkrete Ausbildungsempfehlungen
ableiten. Darüber hinaus kann die Ausbildung
seriös praktizierender Coaches als Richtschnur zur Seite
stehen.
Im Nachfolgenden soll ein denkbarer Ausbildungsweg zum
Coach dargestellt werden, wobei dies sicherlich nicht die einzige
Möglichkeit ist (vgl. Birkenbihl, 1992, S. 11). Dieser Weg wird
allerdings von mehreren Fachgrößen hervorgehoben, da er
sich maßgeblich an formellen Grundsätzen orientiert (vgl. Rauen,
2001, S. 154; Looss, 1997, 189ff.; König, 1993, S. 423; Hauser,
1991, S. 233f.; Wolf, 1990, S. 30).
Möglicher Ausbildungsweg zum Coach
- Studium der Psychologie, Soziologie, Supervision, Philosophie,
Anthropologie, Pädagogik oder Arbeitswissenschaften
mit Spezifika in den Fachbereichen Organisationspsychologie
und –theorien, Arbeitspsychologie, klinische
Psychologie, Sozialpsychologie und Diagnostik
- Psychotherapeutische Zusatzausbildung
- Studium der Betriebswirtschaft als Nebenfach
- Selbsterfahrung und Kommunikationsfähigkeiten
- Jahrelange berufsmäßige Erfahrung in Organisationen
- Erfahrung mit Führungsfunktionen
- Langjährige berufliche Erfahrung als Berater
Darüber hinaus darf aber die Bedeutung der persönlichen
Kompetenzen nicht ignoriert werden. Diese können nur über
umfangreiche und intensive eigene Lebens- und Arbeitserfahrungen
erworben werden.
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