Nicht jeder Bruch in der Beziehung ist zu kitten
Interview mit Xaver Büschel über „Vertrauen“ in der
Sonderbeilage, Die Sparkassen-Zeitung, 73. Jahrgang Nr. 18,
7. Mai 2010
Meistens fängt es ganz „unschuldig“ an. Eine verschwitzte Verabredung,
keine Lust auf den gemeinsamen Kinobesuch oder schlechte Laune beim
Frühstückskaffee. Manchmal legen sich diese Irritationen wieder, manchmal
weiten sie sich aber auch zu handfesten Krisen aus. Und nicht selten sehen
Paare dann keinen Ausweg mehr, als sich zu trennen. Bevor es soweit ist, tritt
Xaver Büschel auf den Plan. Der Bonner Partner- und Familiencoach
versucht, verloren gegangenes Vertrauen möglichst wieder aufzubauen. Im
Interview mit der Sparkassen-Zeitung sieht Xaver Büschel in (fast) jedem
Vertrauensverlust auch eine Chance auf einen Neubeginn.
DSZ: Als Paartherapeut treffen Sie in aller Regel auf zwei Menschen, bei
denen das gegenseitige Vertrauen im Schwinden begriffen ist oder bereits
ganz verloren gegangen ist. Was sind dafür nach Ihren Erfahrungen die
hauptsächlichen Ursachen?
Büschel: Die häufigsten Ursachen für den Vertrauensverlust in intimen
Beziehungen sind Affären in Verbindung mit dem Lügen, permanente
Respektlosigkeit, mangelndes Interesse und mangelnde Aufmerksamkeit an
der Partnerin bzw. dem Partner, geringe Wertschätzung, mangelnde
Bereitschaft zur Kommunikation und Auseinandersetzung, chronische
Sexualprobleme und die Anwendung von Gewalt.
DSZ: Wenn sich zwei Menschen finden, überdeckt das Verliebtsein zunächst
vieles. Ab wann sollte man damit beginnen, gegenseitiges Vertrauen
aufzubauen - und vor allem: Wie funktioniert dies?
Büschel: Um das Vertrauen sollte wünschenswerter Weise von Anbeginn
einer Beziehung von beiden Partnern gerungen werden. Ich sage deshalb,
dass darum gerungen werden muss, da es kein Selbstläufer ist. Vertrauen
begründet sich ja letztlich durch die Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und
Authentizität der beiden Menschen, die diese Gemeinschaft gestalten oder
auch missgestalten.
DSZ: Gibt es untrügliche Anzeichen dafür, dass mein Partner mir nicht mehr
vertraut oder ich ihm nicht mehr vertrauen kann?
Büschel: Bezug nehmend auf die vorherige Antwort lässt sich hieraus
ableiten, wenn meine Bereitschaft an die Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit
und Authentizität meines Partners zu glauben schwindet, nehmen meine
Vorbehalte und meine Zweifel ihm gegenüber zu, das heißt ich werde ihm
gegenüber misstrauisch und dies führt unweigerlich zu Distanz.
DSZ: Ist das Kind erst in den Brunnen gefallen, ist es oft schon zu spät - oder
doch nicht? Geht das überhaupt, ein verletztes Vertrauensverhältnis wieder
zu reparieren?
Büschel: Grundsätzlich ja. Es braucht jedoch ein wenig Zeit und die
bedingungslose Bereitschaft zur Ehrlichkeit desjenigen, der das
Vertrauensverhältnis verletzt oder zerstört hat. Ferner ist die Bereitschaft zur
Vergebung derjenigen, die hintergangen worden ist, zwingend notwendig.
DSZ: Welche unabdingbaren Faktoren sind dafür verantwortlich, dass
gegenseitiges Vertrauen funktioniert?
Büschel: Unter Vertrauen verstehen wir zunächst einmal die Annahme, dass
Situationen einen positiven und erhofften Verlauf nehmen werden. Das
Vertrauen beschreibt hierbei die Erwartung an unsere Partnerin oder unseren
Partner, dass zukünftige Handlungen sich im Rahmen von gemeinsamen
Werten und moralischen Vorstellungen bewegen werden. Vertrauen ist auch
eine riskante Vorleistung, von der wir erst im Nachhinein feststellen können,
ob mein Partner das Vertrauen verdiente oder ich damit auf die Nase
gefallen bin und ihm besser hätte misstrauen sollen.
DSZ: Wo hört Vertrauen auf und fängt Selbstaufgabe an - sprich; wie weit
kann, darf, sollte man/frau vertrauen und wo fängt der Selbsterhaltungstrieb
an?
Büschel: Diese Frage ist schwierig zu beantworten, weil die Schmerz- und
Toleranzgrenzen für jeden Menschen individuell sind. Wir verhalten uns
misstrauisch und werden vorsichtiger mit dem verschenken unseres
Vertrauens, wenn wir permanent hintergangen oder belogen werden und
zu leiden beginnen. Dann steigen häufig Zweifel in uns auf, die mit Sicherheit
die Intimbeziehung belasten. In Partnerschaften mit einem verletzten
Vertrauensverhältnis ist es nicht selten, dass der Hintergangene an
psychosomatischen Erkrankungen und Depressionen leidet. Dies ist sicherlich
ein eindeutiger Hinweis darauf, dass diese Menschen über ihre gesunden
Grenzen hinausgegangen sind. Hierfür sind besonders Frauen anfällig.
DSZ: Welche äußeren Faktoren (Gesellschaft, Freunde, Arbeitsverhältnis etc.)
können dazu beitragen, Vertrauen zu zerstören - und im Umkehrschluss es
auch wieder zu kitten?
Büschel: In unserer Gesellschaft genießt das Vertrauen auf der einen Seite
einen sehr hohen Stellenwert und auf der anderen Seite gehen wir real eher
lax mit ihm um. Daher darf es dann auch nicht wundern, wenn wir eine
vielleicht zu lockere Beziehung zum Vertrauen unterhalten. Allzu häufig nimmt
man in der Öffentlichkeit und den Medien wahr, dass eine kleine Notlüge,
eine temporäre Amnesie oder das Vergessen wichtiger Details bei der
Befragung durch die Staatsanwaltschaft keine sonderlich starken
Konsequenzen nach sich ziehen. Dieser öffentlich lässige Umgang mit dem
Vertrauen wirkt selbstverständlich in unseren privaten Lebensbereich hinein.
Wir erleben diese Doppelmoral momentan sehr anschaulich in der
Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit den Verfehlungen von
einzelnen Priestern, Ordensschwestern und Würdenträgern im Umgang mit
Schutzbefohlenen. Die hier aufgedeckten Entgleisungen sollten es der Kirche
möglich machen sich bei jedem Betroffenen zu entschuldigen. Leider
geschieht dies nicht in der gewünschten Schnelligkeit, Betroffenheit und
Aufrichtigkeit. Die Quittung hierfür ist ein starker Vertrauensverlust gegenüber
der Institution Kirche.
DSZ: Steht einem "gesunden Vertrauen" auch ein "gesundes Misstrauen"
gegenüber?
Büschel: Ja, unbedingt. Wichtig für ein gesundes Vertrauen und ein
gesundes Misstrauen ist eine ausgewogene Balancierung. Die
Gleichzeitigkeit von Vertrauen und Misstrauen steht in keinem Widerspruch.
Wir haben immer die Wahl zwischen den Alternativen Vertrauen und
Misstrauen. Dieses müssen wir akzeptieren lernen und uns ihm auch stellen,
ob er uns schwer fällt oder nicht.
DSZ: Ist Vertrauen auch eine Alters- und Erfahrungsfrage?
Büschel: Wie Vieles in unserem Leben ist der Umgang mit Vertrauen und
Misstrauen auch alters- und erfahrungsspezifisch. Hierbei greifen wir
selbstverständlich auf unsere bereits gemachten Erfahrungen mit
Vertrauen/Misstrauen und auf unsere Intuition zurück. Wir sollten uns jedoch
eine gewisse Offenheit für neue Erfahrungen in unserem Leben, auch in dem
Umgang mit Vertrauen/Misstrauen, erhalten.
DSZ: Ist jedes gestörte Vertrauensverhältnis irgendwie "zu retten"?
Büschel: Eindeutig nein. Nach meinen Erfahrungen als Paar- und
Familientherapeut kann es in intimen Beziehungen zu dermaßen
schwerwiegenden Verletzungen des Vertrauens kommen, dass ein Partner
oder eine Partnerin nicht mehr bereit ist, dieses wiederherstellen zu wollen.
Die Möglichkeiten für neue, positive Erfahrungen und der Umgang des
aktiven Vergebens können hier dann nicht mehr genutzt werden.
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