Paartherapeuten sehen große Belastungen für Paare im Lockdown
Interview mit dem General Anzeiger vom 16. Februar 2021
Bonn. Wie wirkt sich die Pandemie auf Beziehungen aus? Paartherapeuten aus Bonn sehen große Belastungen für Paare im Lockdown und ein verändertes Stimmungsbild. Sie wissen von Ängsten zu berichten und geben Tipps.
VON SOFIA GRILLO
Die Bonner Paartherapeutin Ada Wolf sieht bei ihren Patienten mehr und mehr Symptome, die denen nach einem traumatischen Erlebnis gleichen: Sie sind stiller, erschöpfter und sprachloser. Das Thema Corona steht in ihren Sitzungen nun über allen anderen Themen. Sie weiß: „Corona ist nicht mehr von den Problemen in der Beziehung zu trennen.“ Die Angst vor dem Virus, der Lockdown und der damit veränderte Alltag ist für viele Paare zu einer großen Belastung geworden. Paartherapeuten aus Bonn berichten von ihren Erfahrungen.
Es kommen zwar nicht wesentlich mehr Anfragen von Paaren in Wolfs Praxis an als vor der Krise, doch ihre Arbeit hat sich wesentlich verändert. „Ich sehe, dass meine Patienten alles machen, was sie können. Aber es ist so, als würde ich ihnen das Schwimmen zwar beibringen, sie aber ständig gegen einen starken Strom anschwimmen müssen. Da schwinden irgendwann die Kräfte. Sie können nicht mehr.“
Das Leben der Paare hat sich durch die Corona-Krise grundlegend verändert. Christiane Wellnitz, Familientherapeutin der evangelischen Beratungsstelle für Erziehungs-, Jugend-, Ehe- und Lebensfragen, führt auf, dass es einen Unterschied zwischen Paaren mit und Paaren ohne Kinder gibt. „Erstere sind momentan beschäftigt mit Organisation, Homeschooling, Homeoffice und Haushalt. Sie haben Unterstützung und deswegen keine Zeit mehr für die Paarebene“, erklärt Wellnitz.
Paare ohne Kinder hätten das gegenteilige Problem. Sie haben so viel Zeit wie noch nie füreinander. Ihnen fehlt die Möglichkeit, sich wie sonst mit Hobbys oder dem Beruf auch nach außen hin zu orientieren. Sie seien laut Wellnitz auf sich zurückgeworfen.
Paartherapeut Xaver Büschel aus Beuel beschreibt die Situation so: „Die Eltern übernehmen jetzt viel mehr Anstrengungen, um die Kinder für die Schule zu motivieren und organisieren. Damit sind sie häufig überfordert und in Konflikten mit verstrickt. Hierbei geht dann auch schon einmal die Toleranz und der Respekt für den Partner und die Kinder verloren.“
Büschel hat in seinen Therapien beobachtet, dass Themen wie Respektlosigkeit, Zorn, gemischt mit Bitterkeit und fehlende Geduld einen viel breiteren Raum einnehmen, als vor Corona. Büschel erklärt: „Es fallen viele kompensatorische Optionen wie Treffen mit Freunden weg. Viele Wünsche werden auf die Beziehung projiziert, was unweigerlich zu Enttäuschungen führen muss. Die Spirale von Frustration und Kränkungen können Paare dann so weit hochschrauben, dass sie wütend und despektierlich miteinander umgehen. Wenn der Vorhang für diese Beleidigungen einmal gefallen ist, wird es für diese Paare sehr schwer, wieder einen respektvollen Umgang miteinander zu etablieren.“
Wolf ist zudem aufgefallen, dass einige Menschen durch die Krise psychisch instabil geworden sind, was wiederum die Beziehung belastet. Sie habe eine Patientin, die seit Corona einen Putzzwang habe, oder einen Patienten, der nun durch die Angst vor dem Virus psychotisch sei. Und: „Bei Menschen, die verlassen wurden, sehe ich, dass Suizidgedanken viel schneller geäußert werden. Die Verlassenen sehen, dass die Beziehung gerade wegbricht und dazu noch das gewohnte Leben. Die Menschen sitzen plötzlich ganz allein zu Hause und haben kein soziales Netz mehr, das sie auffängt. Wenn es einem innen nicht gut geht, muss es außen gut sein. Wenn das nicht gegeben ist, verlieren viele jeglichen Halt“, sagt Wolf.
Wellnitz und ihre Kollegen gehen davon aus, dass sich vor allem nach dem Lockdown viele Paare bei der evangelischen Beratungsstelle melden werden, weil sie dann nicht mehr nur funktionieren müssen. Wellnitz sagt: „Wichtig ist, jetzt nicht aus den Augen zu verlieren, dass die Corona-Krise ein Ausnahmezustand ist und sich klar zu machen, dass die Krise nichts mit der Beziehung zu tun hat. Es gilt zu sortieren: Was sind Beziehungsthemen und was ist Überbelastung.“ Wolf fällt es schwer, Paaren Tipps an die Hand zu geben, wie sie gut durch die Krise kommen. „Ich kann ihnen nicht mehr sagen, sie sollen wandern gehen oder das Positive sehen, dafür dauert die Situation einfach schon zu lange an. Einem Ertrinkenden kann man auch nicht sagen, er solle dabei lächeln“, sagt sie.
Xaver Büschel erinnert an Tugenden wie Ehrlichkeit, Empathie und Liebe. „Wir sollten uns vergegenwärtigen, was wir an unserem Partner lieben und warum wir mit ihm zusammenleben und was wir an ihm interessant finden. Wenn uns dies gelingt, haben wir sicherlich einen freundlicheren Blick auf unsere Paarbeziehung“, sagt er. Und damit stiege auch das Maß an Fehlertoleranz in der besonderen Herausforderung der CoronaKrise. Christiane Wellnitz rät, trotz Überbelastung, das Gespräch zu suchen. „Es erscheint erst einmal seltsam oder künstlich, doch es hilft, wenn sich Paare für ein Gespräch verabreden.“ Lockerer werde die Situation, wenn die Paare dabei spazieren gehen. „Oft hilft es auch, wenn man für dieses Gespräch Regeln aufstellt, etwa dass man sich nicht ins Wort fallen darf. Es gilt nun, auszuprobieren und Erfahrungen damit zu sammeln.“
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